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Kastration und Verhalten beim Hund

Auch heute wird unser Haushund noch oft einfach pro forma kastriert, "weil man das halt eben so macht". Was eine Kastration ist und was sie für den Hund bedeuten kann, versuchen wir euch hier ein wenig zu erklären.


Begriffserläuterungen:

  • Kastration bedeutet die Entfernung der Geschlechtsorgane, unabhängig davon, welches Geschlecht gerade unters Messer kommt. Die immer noch zum Teil geäußerte Ansicht, dass eine Kastration bei Rüden und eine Sterilisation bei Hündinnen vorgenommen würde, ist daher falsch.

  • Sterilisation bedeutet „Fortpflanzungsunfähigmachung“ durch Durchtrennung der ausleitenden Kanäle, also des Samenleiters beim Hund bzw. des Eileiters und zum Teil auch der Gebärmutter bei der Hündin.

Schon gewusst? Laut Tierschutzgesetz ist es generell verboten, einem Tier Organe aus Gründen einer angeblichen Erziehbarkeit oder ähnlichen Argumenten zu entfernen.


Die Hündin


Präventive Kastration?


Oft wird bei einer Hündin angeraten, diese frühzeitig zu kastrieren, um z.B. dem Risiko von Gesäugetumoren vorzubeugen. Diverse Zahlen widerlegen diese Aussage aber klar. Somit sollten diese keinen Grund darstellen, eine Hündin zu kastrieren, schon gar nicht vor dem Pupertätsdurchgang. Zudem zeigen neuere Untersuchungen, dass es ganz andere Risikofaktoren zur Entstehung von Gesäugetumoren gibt. So ist das zu eiweißreiche und/oder zu energiereiche Füttern der Hündin und eine Fettleibigkeit im ersten Lebensjahr sowie die ein- oder mehrmalige hormonelle Unterdrückung der Läufigkeit durch Spritzen als echtes Risiko für die Entstehung von Gesäugetumoren zu benennen.

Ob schlussendlich also das bloße Nichtkastrieren die Ursache für den Gesäugetumor war, sei dahingestellt. Oft werden hier nämlich Lebensbereiche, wie falsche Fütterung und/oder Haltung, gar nicht erst beachtet.


Neben den Gesäugetumoren sind Gebärmuttervereiterungen und Gebärmutterentzündungen eine weitere Horrorvorstellung für Halter:innen von Hündinnen. Die sogenannte Pyometra wird oft zu spät erkannt und stellt dann plötzlich einen Notfall dar. Sie beginnt oft am Ende der Läufigkeit, da aber in der sogenannten geschlossenen Form. Aufgrund dessen, dass nicht immer ein Ausfluss vorhanden ist, wird sie oft erst Wochen später erkannt. Die typischen Symptome wie Temperaturanstieg, vermehrte Wasseraufnahme, häufiges Urinieren, Appetitlosigkeit und Abmagerung sowie die dann zunehmend auftretende Umfangsvermehrung des Bauches werden leider viel zu selten wahrgenommen. Je nach Dauer und Stadium der Erkrankung können bis zu mehreren Litern Eiteransammlung in der Gebärmutter gefunden werden. Kommt es tatsächlich zur Gebärmutterentzündung sind zwar medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten durchaus gegeben, aber die Kastration und Entfernung der betreffenden Gebärmutter ist dann doch das Mittel der Wahl.

Aber auch hier stellt sich die Frage, ob man vorbeugend ein gesundes Organ entfernen darf, nur um eine solche Erkrankung zu verhindern.


Gedankenfrage: Würde das dann rechtfertigen, einem zur Jagd neigenden Hund präventiv ein Bein zu entfernen?


Scheinschwangerschaft bzw. Scheinmutterschaft


Die Scheinschwangerschaft ist ein normales Geschehen, denn durch die Beibehaltung des sogenannten Gelbkörpers nach der Läufigkeit wird auch eine ungedeckte Hündin hormonell ähnlich umgesteuert, wie nach einer erfolgreichen Paarung.

Eine Scheinschwangerschaft kann bis zu ca. zwei Monate dauern. Auffallend in dieser Zeit für Hündinnen ist eine gewisse Zurückgezogenheit und Ruhe. Ebenfalls kann ein stärkeres Anlehnungsbedürfnis an Menschen auftreten.


Was man oft als Scheinschwangerschaft deklariert, ist eigentlich eine Scheinmutterschaft. Hier wird unter dem Einfluss des Elternhormons Prolaktin die Hündin auf eine Jungtierbetreuung vorbereitet. Milchproduktion, Gesäugeschwellung, Hüten von Quietschtieren oder anderen Kuscheltieren, Graben von Wurfhöhlen usw. können hier auftreten.

Aber auch hier hilft eine Kastration nicht zwingend. Es gibt zwei auslösende Faktoren für das Entstehen dieser echten prolaktinabhängigen Scheinmutterschaft:

Neben dem regulären Auftreten im Zyklus, also etwa zwei Monate nach der Läufigkeit, kann – und das betrifft genauso kastrierte Hündinnen – dieses Verhalten und diese Veränderung auch durch andere Umstände, wie etwa Anwesenheit eines Welpen im Haus, Schwangerschaft der Besitzerin oder andere im familiären Umkreis liegende Erscheinungen ausgelöst werden. Dies liegt daran, dass das zuständige Hormon Prolaktin aus der Hirnanhangsdrüse kommt und diese kann sowohl durch Rückkopplungskreise aus den Geschlechtsorganen wie auch durch direkte Aktivierung über die Sinnesorgane und deren nachgeschaltete Hirnregionen aktiviert werden.


Verhalten der Hündin


Oft wird auch bei Hündinnen empfohlen, diese zu kastrieren, wenn sie ein aggressives Verhalten zeigen. Aber auch hier gibt es Studien dazu, die eher das Gegenteil belegen. Zeigt eine Hündin das aggressive Verhalten nur rund um die Läufigkeit, kann eine Kastration helfen, dieses Verhalten zu verbessern oder abzustellen. Tritt das aggressive Verhalten aber ganzjährig auf, insbesondere gegenüber Rüden, kann eine Kastration diese Verhaltensauffälligkeit eher verschlimmern. Besonders gilt dies für Hündinnen, die beim Markieren nach "Rüdenart" das Bein heben, und/oder als einzige Hündin in einem überwiegend von männlichen Geschwistern dominierten Wurf zur Welt kamen. Diese Hündinnen, auch Rüdinnen genannt, haben nämlich schon vorgeburtlich gleich über die Mutter oder über die Geschwister einen höheren Schuss Testosteron mitbekommen, welcher ihr Gehirn in Richtung dieses eher rüpelhaften und männlichen Verhaltens programmiert hat. Nimmt man ihnen nun die weiblichen Hormone, also die Östrogene, so fehlt die letzte Kontrollinstanz, die das Überschießen des Testosterons verhindern könnte.

Wichtig: Angst-, Unsicherheits- und Panikaggression, allgemeines Unsicherheits- und Angstverhalten sowie Jagd- und Beutefangverhalten sind auch unabhängig von den Sexualhormonen zu sehen und erfahren - je nach Problematik - meist sogar noch eine Verschlimmerung! Es ist daher dringend anzuraten, das problematische Verhalten mit einem kompetenten Verhaltensberater zu besprechen.


 

Der Rüde


Gerade beim Rüden halten sich viele hartnäckige Gerüchte und Missverständnisse, wenn es um die Verhaltensveränderung bei der Kastration geht. Aber auch bei unseren männlichen Vertretern kann die Kastration keine vernünftige Verhaltenstherapie ersetzen, zudem sind gerade die beim Rüden angeführten Verhaltensprobleme nur in seltenen Fällen Folge eines überhöhten Testosteronspiegels.


Aggressionsverhalten des Rüden


Der Glaube, dass man durch Kastration Aggressionen beeinflussen könnte, geht zurück auf die Annahme, dass Aggression grundsätzlich vom Sexualhormon Testosteron gesteuert und grundsätzlich mit Rangordnung, Status und der Verteidigung der Sexualpartnerinnen zu tun haben müsse. Dies ist jedoch in den meisten Fällen nicht gegeben. So sind beispielsweise angstaggressive Hunde gesteuert vom Stresshormonsystem. Im Speziellen ist hier das Stresshormon Cortisol von besonderer Bedeutung. Und gerade bei jenen Hunden, die in Angst- und Paniksituationen, bei Kontrollverlust, an der Leine oder in ähnlichen Situationen aggressiv reagieren, ist das Stresshormon Cortisol aus der Nebennierenrinde ursächlich.

Die männlichen Sexualhormone dagegen hemmen die Ausschüttung des Cortisols; Testosteron hat also eine angstlösende Wirkung unabhängig von der Sexualität. Inwiefern hier also die Wegnahme des Testosterons Sinn macht, dürfte klar sein. Das gesteigerte Selbstbewusstsein dieser Rüden wiederum verhindert in vielen Fällen das völlige Durchknallen der Angstaggression. Nimmt man die Sexualhormone weg, werden diese Tiere noch unsicherer, und das gezeigte Verhalten kann sich verschlimmern. Kommen wir zur gängigen Selbstschutz- und Selbstverteidigungsaggression. Auch hier spielen Stresshormone eine Rolle, jedoch sind es hier eher die Stresshormone der Botenstoffe des aktiven Systems, insbesondere das Noradrenalin. Problematisch für Hundehalter:innen ist, dass Noradrenalin, auch als Kampfhormon bezeichnet, nicht nur selbst durch eigene Wirkung aggressives Verhalten steigert. Zusätzlich wirkt es auch als Verstärker und Lernförderer in anderen Teilen des Gehirns. Hat ein Hund also in einer furchteinflößenden Situation Aggression als effektive Strategie zur Problemlösung eingesetzt, so wird dies sehr schnell gelernt und als Problemlöseverhalten für die Zukunft abgespeichert. Durch "Lernen am Erfolg" wird unser Canide so zum Lustbeißer und Aggressionsjunkie, wiederum völlig unbeeindruckt von einer Wegnahme des Testosterons. Hier kann nur individuelles und sinnvolles Verhaltenstraining und eine Verbesserung der Führungskompetenz des Halters eine Abhilfe schaffen. Diesen Hunden muss man Sicherheit geben und nicht Testosteron nehmen.


Hypersexualität


Die sogenannte Hypersexualität von Rüden ist keineswegs immer aus dem Verhaltenskreis des Sexualverhaltens zu deuten. Aufreiten hat oft gar nichts mit Sexualität zu tun. Es kann sich um Übersprunghandlungen oder um Bewegungsstereotypien handeln und damit dem Stressabbau dienen. Das erklärt dann auch, warum manche Hunde nach der Kastration noch mehr Aufreiten zeigen. Nämlich genau die, die - wie oben genannt - ohnehin stressgesteuert sind. Wird das Verhalten zwischen mehreren Hunden in einer bestehenden Gruppe gezeigt, kann es sich oft auch um Spielverhalten handeln. Gleiches gilt für Aufreitversuche in Junghundgruppen und bei pubertierenden Schnöseln.

Sollte das Verhalten wirklich auf echtes Sexualverhalten zurückzuführen sein, kann sich natürlich eine Besserung einstellen, aber auch nur dann, wenn diese Verhaltensweise noch nicht vollständig in das Bewegungsmuster übernommen wurde.


Hormonchip / Chemische Kastration


Beim Rüden haben wir zum Glück den Hormonchip, mit welchem man gut einen Probelauf starten kann. Der Hormonchip unterdrückt zuverlässig die Sexualhormonproduktion. Man sollte aber beachten, dass es in den ersten Wochen nach dem Einsetzen des Implantates zunächst zu einem starken Anstieg des Testosterons und sohin zu einer Verschlimmerung des Verhaltens kommen kann.

Danach aber kann man mehrere Monate ausprobieren, wie der Hund wirklich nach einer chirurgischen Kastration wäre. Oft reicht aber sogar der Implantationschip aus, um in dieser Zeit mithilfe eines kompetenten Trainers die Verhaltensbeeinflussung und Verhaltenskorrektur des Rüden so weit vorzunehmen, dass er hinterher auch bei Wiederanwesenheit seiner Sexualhormone gesellschaftsverträglich und sozial kompetent geführt werden kann.


Wichtig: Auch hier gilt ebenso wie bei der Hündin, dass Angst-, Unsicherheits- und Panikaggression, allgemeines Unsicherheits- und Angstverhalten sowie Jagd- und Beutefangverhalten auch unabhängig von den Sexualhormonen zu sehen sind und - je nach Problematik - meist sogar noch eine Verschlimmerung erfahren! Es ist daher dringend anzuraten, das problematische Verhalten mit einem kompetenten Verhaltensberater zu besprechen.


 

Schlusswort


Wie ihr seht, sind die Kastration und die damit verbundenen Verhaltens- und Hormonveränderungen ein sehr komplexes Thema. Auch ist die Kastration kein Wundermittel in Sachen Verhaltensveränderungen. Sie sollte also zuvor sehr gut überlegt werden, denn leider kann dieser Schritt nicht mehr rückgängig gemacht werden.


Zudem ist ganz gut erkennbar, dass Hormone eben nicht nur in einem Bereich des Körpers wirken, so auch die Sexualhormone nicht. Das Zusammenspiel aller Hormone im Körper hat einen Sinn; dieser Kreislauf sollte nicht leichtfertig unterbrochen werden!








Wenn ihr noch mehr zu dem Thema wissen möchtet, können wir euch das Buch "Kastration und Verhalten beim Hund" von Dr. Udo Gansloßer und Sophie Strodtbeck sehr ans Herz legen!










 

Quellen:

  • Kastration aus Verhaltensbiologischer Sicht (Dr. Udo Ganßloser, Sophie Strodtbeck)

  • Kastration und Verhalten beim Hund (Udo Ganßloser, Sophie Strodtbeck)

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